„Zuerst muss man es sich vorstellen können, dann erst machen.“
Eine Vision haben, wirklich von ihr überzeugt sein und darauf vertrauen, dass sie sich verwirklichen lässt. Dieser Leitsatz zieht sich durch das gesamte Schaffen der Familie Aufreiter. Seit Mitte der 1980er Jahren betreten die Aufreiters mit ihrer Landwirtschaft im oberösterreichischen Mühlviertel unaufhörlich Neuland. Im Jahr ihrer Hochzeit begannen Hans und Michaela zusätzlich zu ihrer kleinen Milchwirtschaft probeweise Pfefferminze anzubauen. Die Hochzeit selbst fiel in die Erntezeit, weshalb die gesamte Aufmerksamkeit die Tage davor und unmittelbar danach ausschließlich der Heilpflanze galt. An eine Hochzeitsreise war erst zu denken, nachdem der Ertrag sicher eingefahren war.
Zehn Jahre später stand dann erstmals die Idee im Raum, die Milchwirtschaft komplett aufzugeben und alles auf die Kräuter-Karte zu setzen. Damals schien die Zeit aber noch nicht reif, denn die beiden Bauern stellten stattdessen auf Bio-Landwirtschaft um und bauten ihren Milchkühen einen neuen Stall. Dazwischen kamen sechs Kinder auf die Welt und Michaela erinnert sich, dass sie bald feststellen musste:
„In den Stall gehen, Kräuter anbauen, gleichzeitig auf Bio-Landwirtschaft umstellen und sechs kleine Kinder haben: Das geht sich nicht aus, arbeitsmäßig!“
Also sperrten sie kurzerhand den neu errichteten Stall wieder zu und widmeten sich ausschließlich der biologischen Kräuterproduktion.
Kräuter in die Wiege gelegt
Michaela schlug damit konsequent jenen Weg ein, der ihr schon in der Kindheit geebnet wurde: Der Vater injizierte ihr sein eigenes sehr gutes Pflanzenwissen und die Oma begeisterte sie für das Kräuter-Sammeln und Teetrinken. Mit einem Lachen ergänzt Michaela:
„Und wie die ersten Bücher vom Kräuter-Pfarrer Weidinger herausgekommen sind, das war meine Literatur – schon als Jugendliche!“
Auch ihrem Mann attestiert sie ein sehr gutes Gefühl für Pflanzen und Boden. Das meiste lerne man aber, in dem man sich unmittelbar mit der Materie beschäftige. Weil es aber gerade bei Kräutern immer wieder Neues zu entdecken gibt, besuchte Michaela vor sieben Jahren eine große, einjährige Kräuterausbildung in München.
Fußballfelder voller Kräuter
Seit insgesamt 15 Jahren leben die Aufreiters nun schon ausschließlich von Spitzwegerich, Melisse, Pfefferminze, Apfelminze, Malve, Schafgarbe, Johanniskraut, Ringelblumen, Oregano und Co. Zwischen 16-18 verschiedene Kräuterkulturen werden für den Großhandel (wie den Apothekengroßhandel) auf einer Fläche von mehr als zwanzig Fußballfeldern angebaut. Das ist die Domäne der beiden männlichen Aufreiters: Hans und Junior-Landwirt Jakob. Michaela Aufreiter hat sich ihre eigene Nische geschaffen und kreiert für die Direktvermarktung Tee- und Gewürzmischungen. Dafür baut sie nochmal 50 weitere Kräuter und Gewürze an, von manchen nur 15 und von anderen 300-400 Pflanzen. Teilweise werden diese auch mit der Hand geerntet:
„Blüten ernte ich mit der Hand und mit der Sichel – ganz nach Rosamunde Pilcher.“
Mittlerweile nennt Michaela auch einen japanischen Teeernter ihr Eigen. – Eine kleine Maschine, die sie bei der Kräuterernte unterstützt. Während Michaela ihre Kreativität bei der Zusammensetzung von Tee- und Gewürzmischungen walten lässt, stellt Hans seine Erfindungsgabe beim Umbau und Adaptieren von Maschinen unter Beweis. Weil es viel zu teuer gewesen wäre, beim Umstieg auf den Anbau von Kräutern sämtliche schon aus der Landwirtschaft vorhandene Maschinen auszutauschen bzw. für die unterschiedlichen Pflanzen jeweils immer neue anzuschaffen. Dass Michaela einen so geschickten Mann hat, darauf ist sie sichtlich stolz. Und darauf, dass seine jahrelange Tätigkeit als Trainer für bäuerliche Unternehmen in Deutschland und der Schweiz viel Öffnung ins Denken gebracht hätte. -Darüber, was alles möglich ist, wenn man nur wirklich dahinter steht.
Letztlich würden genau das auch ihre Kunden spüren, ist sich Michaela sicher: „Dass es bei uns wirklich so ist: Wir tun, was uns entspricht.“ So schöpft die Familie Aufreiter nicht nur Freude, sondern vor allem auch Erfüllung daraus,
„.. dass man in der Landwirtschaft die Möglichkeit hat, dass man sich da wirklich entwickeln und machen kann, wo das Herz liegt und wo man seine Talente hat.“
So war es auch nie eine Diskussion, ob Jakob, der Vorletzte unter den sechs Kindern, den Betrieb der Eltern einmal weiterführen wird. Er sagt schon heute ganz klar, dass er zwar noch nicht wisse, ob er die Landwirtschaft in der bestehenden Form betreiben möchte, aber weitermachen wird er in jedem Fall. Schon seine Eltern wurden von Jakobs Großeltern, die Viehzucht betrieben, in ihren Visionen unterstützt, auf einen Kräuterhof umzustellen. Und genauso halten es Hans und Michaela auch mit der nächsten Generation: „Bei uns muss jeder tun, was ihm Spaß macht“.
Kinder, die die Mitarbeit am Hof mit Humor nehmen
Die Arbeit im Familienverband schätzt Michaela ganz besonders, auch wenn ihre Kinder das früher nicht immer ganz so genossen. Das Mithelfen am Hof war selbstverständlich und führte zum geflügelten Wort in der Familie, wie sie lachend erzählt:
„Die Kräuter bekommen nie ein Fairtradezeichen, weil die Kinder immer mitarbeiten mussten!“
Michaela ist überzeugt, dass sie und ihr Mann ihren Kindern durch die vielen gemeinsam am Feld verbrachten Stunden vorleben konnten, wie wichtig es ist, Spaß an der Arbeit und am Austüfteln neuer Ideen zu haben. Die Kinder waren nicht immer Feuer und Flamme für den Spaß der Eltern, sahen die gemeinsame Zeit beim Pflanzensetzen aber mit Humor:
„Darum habt ihr sechs Kinder, damit ihr vier auf der Setzmaschine und zwei zum “Nachigehen” habt’s!“
Mit Misserfolgen umgehen
Aber auch etwas, das Spaß macht, kann manchmal anstrengend werden. Bei Misserfolgen zum Beispiel. Und diese haben auch vor den Aufreiters nicht Halt gemacht. Ganz am Anfang ihres Kräuter-Abenteuers ließen sich Hans und Michaela eine große Menge Teedosen einreden, die sie dann nicht verwenden konnten. Das führte zu einer echten finanziellen Krise. Und dann warteten auf die Aufreiters im Laufe der Jahre selbstverständlich auch noch natürliche Feinde jeder Art: Die kein Pardon kennende Selleriefliege, die sich über hunderte Quadratmeter Maggikraut und Liebstöckel hermachte oder Raupen, die Kräuterblumen zum Fressen gerne hatten. Oder die Johanniskrautwelke, die schon im Samen mitgeliefert wurde und die grünen Blätter ganz schnell braun werden ließ.
Und manchmal dauert es auch richtig lange, bis man die perfekte Sorte einer Pflanze findet. So geschehen beim Oregano-Anbau. Nachdem der bezaubernde Geruch am Feld eine besonders gute Ernte versprach, kam die herbe Enttäuschung nach dem Trocknen: Der Oregano konnte geschmacklich maximal mit Heu mithalten und hatte rein gar nichts mit dem typischen Pizza-Aroma gemein. Michaela sieht es pragmatisch:
„Man rechnet damit, dass man einen Hektar in den Wind schreibt.“
Klar wünsche man sich, dass Geld reinkommt, aber ist dem nicht so, könne man nur auf’s nächste Jahr hoffen. Glücklicherweise ist auch Hans keiner, der schnell das Handtuch wirft. „Mein Mann ist im Pflanzenbau sehr genau und wenn es das erste Jahr nix wird, ist das kein Grund aufzugeben“. Noch etwas, das Michaela stolz macht.
Und wenn die Bäuerin tatsächlich einmal Frust oder Stress überkommen, dann entschwindet sie auf’s Feld:
„Wenn’s stressig ist und ich geh Unkraut jäten auf’s Feld, das entspannt mich total. Ohne dass ich mit wem reden muss, nur ich und die Pflanzen. Da hab ich auch voll gute Ideen. Die schreib ich mir sogar im Handy auf, damit ich sie nicht vergesse.“
Mit Gerstengras am Puls der Zeit
Dass Michaela und Hans mit ihren Ideen und Produkten den Nerv der Zeit getroffen haben, zeigen das große Interesse und auch das große Wissen, das ihre KundInnen bereits mitbringen:
„Ich staune oft selber als Bäuerin, was meine Kunden wissen über die Lebensmittel!“
Innovativ wie die beiden Bauern sind, haben sie als Erste in Österreich Gerstengras angebaut und zu Pulver gemahlen. Mit Wasser vermischt, ergibt es einen grünen Drink, der einem natürlichen Basenpulver-Getränk mit vielen Vitaminen entspricht. Michaela wundert sich: „Gerstengras und Weizengras kennen viele Leute, ohne dass ich das großartig erklären muss“. Im ersten Jahr war die Nachfrage danach sogar so groß, dass sie bereits ab Mai ihre KundInnen auf die Ernte im nächsten Jahr vertrösten musste.
Michaela lacht, als sie die KundInnen-Erfahrungen mit ihrem Gerstengras nacherzählt: Eine Friseurin sei ganz aus dem Häuschen gewesen, weil sie sich nicht erklären konnte, woher die vielen kurzen Haare am Kopf der Gerstengras-Kundin plötzlich kamen.
Eines Tages stand ein Manager auf Michaelas Hof, weil er wissen wollte, woher das Getränk stammte, das ihm seine Sekretärin täglich in der Früh auf den Schreibtisch stellte. Er konnte seine Hände nicht mehr zur Faust ballen und seine Sekretärin nahm sich der Sache mit Gerstengras an. Nach nur 14 Tagen waren die Beschwerden verschwunden.
Michaela hat den Drink auch selbst jahrelang zu sich genommen:
„Es schmeckt zwischen Spinat und Heu, aber so ein Glas runterstürzen geht schon.“
Ihre Haare wurden schöner, die Verdauung funktionierte besser und:
„Ich bin am Abend nicht mehr fix und foxy, sondern nur mehr müde.“
Vielleicht sollte sie langsam wieder damit anfangen, denn die für sie stressigste Zeit des Jahres steht knapp bevor. Nachdem die Ernte nun bald abgeschlossen ist, geht es in der Direktvermarktung jetzt wieder so richtig los:
„Wenn es Herbst wird und Nebel einfällt, kommen die Leute: „Ah, ich brauch einen frischen Tee!“